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Religionskriege im Mochenland

Beverunger Geschichte 28 September, 2011

Damit auch jeder weiß, wer die „Religionskriege“ im Mochenland angezettelt hat, stellt die Person sich jetzt selber vor:

Holdrio, Ihr alten Mochenländer!

Auch ich habe dort gewohnt, bin aber schon wesentlich älter als Du. Deshalb hatten wir nicht dieselben Lehrer. Ich habe bis jetzt nur die Seiten deiner Schulberichte gesichtet.

Hierbei interessiert mich, ob du die katholische Volksschule in Beverungen besucht hast, in deren Nähe die Burg heute immer noch steht.

Dort bin ich 1945 eingeschult worden. Meine Klassenlehrerin war Frl. Böhm, die nach meinem Horensagen ebenfalls aus Essen stammte. Da ich aber offiziell evangelisch war, bin ich 1946 in die evangelische Volksschule an der Dalhauser Str. gekommen, wo wir meistens mit zwei Klassen in einem Raum unterrichtet wurden. Die Lehrer, die ich von dort noch kenne: Herr Mundhenk, Herr Nürenberg, Frl. Meier, wobei ich nicht genau weiß, wie diese Herrschaften sich schreiben, denn die Zeugnisse von damals sind mir alle abhanden gekommen.

Von deiner katholischen Volksschule kenne ich außer meiner Klassenlehrerin nur noch das Frl. Pflück-den Baum, offiziell so ähnlich wie Plückebaum.

In deiner Realschule war ich ebenfalls, aber nur von 1949 bis 1950, also nur in dem Gebäude, das an der Bahnhofstraße stand und vor Jahren einem Verkaufsladen Platz gemacht hat. Danach bin ich ins Ruhrgebiet umgesiedelt, wo ich auch geboren bin. Aus der damaligen Mittelschule (warum hieß die eigentlich Rektoratschule?) kenne ich Herrn Schmale, Herrn Sannig, Herrn Miles, Herrn Domann, Frl Seiler, Frl. Welling, Herrn Klare und vielleicht noch einige andere, deren Namen mir jetzt nicht einfallen. Leider habe ich mit niemandem Kontakt, der damals meine Klasse besucht hat, denn diese Opas sind anscheinend alle schon zu alt, um sich mit Bits und Bytes zu befassen.
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Übrigens war ich bis gestern noch vor deínem nicht mehr existierenden ehemaligen Wohnsitz in der Mühlenstraße, denn dort habe ich mal wieder Urlaub gemacht. Hierbei werden alle 2 Jahre alte Erinnerungen wach und alte Bäume aufgesucht, an die ich mal gepinkelt habe.

Es grüßt dich Wolfgang Prechter, einst wohnhaft in Beverungen, Bahnhofstr. 309

…und jetzt kriegen se sich….

(aus der Erinnerung heraus von Wolfgang Prechter)

Wie ich vorher schon berichtet habe, war ich seit 1945 als Evangelischer mit den katholischen Schülern in der Beverunger Volksschule, wo wir gemeinsam in einem Klassenraum unterrichtet wurden. Nur zum Religionsunterricht wurden wir getrennt. Meine allererste Religionsstunde sah so aus, daß ich mich mit anderen Schülern aus meiner Klasse in die erste Etage begeben mußte. Dort erzählte dann, wahrscheinlich war es ein „Frollein“, etwas vom lieben Gott und was sonst noch auf diesem Gebiet erwähnenswert war, und das alles sehr ausschmückend und in einer Form, daß ich mich, wie in einer Märchenstunde, richtig in das Geschilderte einfühlen konnte und mir alles sehr interessant erschien.

Plötzlich ging die Klassentür auf, eine Mitschülerin kam herein und fragte nach einem Wolfgang Prechter, der ich bis heute noch bin. Dann machte sie mir klar, daß ich doch evangelisch sei und meinen Religionsunterricht eine Etage tiefer absolvieren sollte. Ich ärgerte mich, weil ich auf diese Art aus den schönen Erzählungen der katholischen Lehrerin mit guten und bösen Geistern, Engeln usw. herausgerissen worden war.

Eine Etage tiefer unterrichtete ein männlicher Lehrer das Fach aus evangelischer Sicht und erzählte etwas über das Paradies mit all den schönen Früchten, Äpfeln und „Bürrnen“, wie er sich ausdrückte, die an den dortigen Bäumen hingen. Ich weiß noch ziemlich genau, daß er „Kürrche“ und „Bürrne“, mundartlich geprägt, gesagt hatte, und jedesmal, wenn er über die dortigen „Bürrnen“ sprach, und dabei das „R“ so appetitlich rollte, lief mir das Wasser im Mund zusammen, denn es war ein ziemlich warmer Tag, und Kinder haben meistens Durst.

Ich nehme an, daß das Schuljahr 1945 irgendwie wegen der Nachkriegswirren verkürzt war. Einige Wochen später mußten wir „Evangelen“ zum Religionsunterricht in das heutige evangelische Gemeindehaus an der Dalhauser Straße gehen, und nach Beendigung des ersten Schuljahres stellte dieses Haus meine endgültige evangelische Volksschule dar, in der wir in einem Klassenraum mit mindestens zwei Klassenverbänden zusammen von einem einzigen Lehrer unterrichtet wurden. Zuerst war es ein Fräulein Gerda Meier, später Herr Mundhenk, dessen Vornamen ich nicht weiß.

Die Geographie Beverungens und die annähernd gleichen Schulzeiten beider Konfessionen wollten es, daß beide „Sorten“ von Schülern oft zur selben Zeit ihren Nach-Hause-Weg antraten, die „Katholen“ über die Burgstraße zur östlichen Seite und wir „Evangelen“ über die Dalhauser Straße zur westlichen Seite der Lange Straße, auf der sich der gemeinsame Weg in Richtung Norden durch Beverungen vollzog, denn beide Schulen waren am südlichen Ende Beverungens angesiedelt. Alle paar Tage kam es vor, daß entweder  von der katholischen oder von der evangelischen Seite der Lange Straße auf die andere Seite hinübergepöbelt wurde, etwa dadurch, daß aus Richtung Osten herübergerufen wurde: „Evangelium!“, ohne daß der Rufer wußte, was dieses Wort bedeutet. Von der westlichen Seite der Lange Straße pöbelte man Zurück: „Katholium!“ Dann folgte das, was an manchen Tagen unausbleiblich war: Man entledigte sich seines Tornisters – das waren die Dinger, die heute bei den Schülern durch Rucksäcke ersetzt worden sind – und balgte oder klopfte sich entweder auf der katholischen oder auf der evangelischen Seite der Straße, um auszufechten, welcher Gott denn nun der richtige sei. Manchmal zankte man sich auch mitten auf der Straße, die heute als Bundesstraße 83 für tägliches Verkehrsgewimmel sorgt, wobei auch schwere LKW mit von der Partie sind. Eine Schlägerei nach damaligem Muster wäre also heute aus diesem Grund im Keim erstickt bzw. plattgefahren worden.

Diese christlichen Unstimmigkeiten blieben der Lehrerschaft nicht verborgen, und mein evangelischer Lehrer Mundhenk hielt vor der Klasse eine Ansprache, in der er den Unsinn dieser Schlägereien verdeutlichte, etwa mit den Worten: „Stellt euch vor: Gestern habe ich mit Fräulein Plückebaum (und die war katholisch) im Café an der Ecke Lange Straße/Burgstraße gesessen, und meint ihr vielleicht, wir hätten uns da geklopft wie die Kesselflicker? Nein!! Wir haben uns dort angenehm unterhalten und unseren Kaffee genossen.“ Der Vortrag wurde noch etwas weiter ausgebaut, und die Pöbeleien auf der Bundesstraße 83 hatten damit für die nächste Zeit ihr Ende genommen.

Das Interessanteste daran war, daß von den beteiligten Schlägern, die nicht zu vergleichen sind mit den heutigen brutalen Schlägern des neuen Jahrtausends, niemand wußte, daß ich zu keiner der beiden Parteien gehörte, denn im Jahr 1939 hatte sich ein evangelischer Pastor in Essen, meiner Geburtsstadt, geweigert, mich zu taufen, weil mein Vater aus der Kirche ausgetreten war. Dieses Geheimnis mußte ich während meiner gesamten Schulzeit für mich bewahren und mich zehn Jahre lang durch den Religionsunterricht durchmogeln, was mir als angelerntem Mochenländer (Mogelländer) auch gelang, und noch heute denke ich darüber nach, was man denn wohl während meiner Volksschulzeit mit mir gemacht hätte, wenn ich mich damals als Heide geoutet hätte. Ob dann wohl in der Mitte der Bundesstraße 83, auf neutralem Boden, ein Pranger für mich, den Ungläubigen, errichtet worden wäre und man mich dort geteert und gefedert hätte?

Das Bild zeigt mich auf der neuen Aussichtsplattform, die erst vor einigen Monaten eingeweiht worden ist und sich in der Nähe des Steinbruchs zwischen Würgassen und Karlshafen befindet. Der Blick ist auf Karlshafen gerichtet.

Wolfgang Prechter


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